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Egal, wann auch immer ich in meinen betagten VW T3 steige, den alten Metallschlüssel herumdrehe, und auf Reisen gehe:
Am liebsten hätte ich es mindestens einen Tag früher getan. Es ist nicht zum Aushalten. Ein paar Tage vor Abfahrt ist meine Geduld längst schon keine mehr.
Völlig durchtränkt von Reisefieber, dem altbekannten Fernweh, verspüre ich nichts, als die pure Lust, in dieser Form entschleunigt Langstrecke im klassischen VW Bus zu fahren. Souveränes Warten bis zum Aufbruch ist dabei nicht gerade das, was ich als einer meiner Paradedisziplinen bezeichnen möchte.
Doch dann ist es soweit, es geht runter von der kleinen Scholle Heimat. Die Augen leuchten, die Lungen weiten sich, und die Räder drehen sich endlich wieder. Sie drehen sich, und zwar erneut in Richtung Schweiz.
Erstes Ziel ist das Wallis. Dort, in der Sonnenstube der Schweiz, mit all´ ihren 4000er Gipfeln, sind wir nicht zum ersten Mal. Für die Anreise wählen wir allerdings diesmal nicht den Weg über Berge und Pässe, oder den großen Umweg über den Genfer See ins Rhonetal hinein. Wir fahren über Basel und Bern auf Kandersteg zu, und nutzen dort den Autoverlad Lötschbergtunnel.
Für knappe 30,-€ schießt uns die Bahn durch den Berg, während wir dabei skurriler Weise vorne im Bus sitzen bleiben. Durch das Jahrmillionen
alte Gestein geht die Fahrt ohne Licht und Spuk, bis uns der kühle, dunkle Tunnel (1913 eröffnet!) bei Goppenstein nach gut 20min Geisterbahnfahrt ins helle, warme Licht des Rhonetals
entlässt. Von dort sind es noch gut 30 Kilometer bis zum Ziel.
Dieses Jahr zieht es uns als erstes ins Saas-Tal,
und zwar auf den "Camping am Kapellenweg"/Saas Grund.
Alles, was man elementar braucht, ist vorhanden.
Nicht in verschwenderischer Größenordnung,
aber so, dass es mit ein wenig Rücksicht und Geduld für alle reicht.
Der Platz ist empfehlenswert für Leute,
die in der Einfachheit ursprünglichen Campings
einen Luxus sehen, den man einfach nicht kaufen kann.
Dass wir nicht die Einzigen sind,
die das so sehen und schätzen, wird schnell klar.
Ganz deutlich wird, Aktivität steht vor Chillen.
Kletterer, Wanderer, Bergsteiger, Rennrad- & MTB-Freaks überall,
und es wird überall frisch gekocht.
Viele Zelte, viele kleine Camping-Fahrzeuge,
ein paar wenige auch im Sprinter-Format, und das wars.
Rollende 9 Meter-Häuser und XXL-Wohnwagen
finden sich hier keine.
An Vielfältigkeit, und das umgeben von über 20 Viertausender-Gipfeln, ist das Saas-Tal kaum zu überbieten. Vor allem deshalb, weil auch ohne die Besteigung einer dieser Felsriesen der Genuss der Hochalpen überhaupt nicht getrübt wird. Die stillen Höhenwege und teils vergessen wirkenden Saumpfade, die durchaus auf 2500-3000 Meter führen, sind anspruchsvoll, wunderbar abwechslungsreich, und lassen daran, die hohe Bergwelt zu erleben, keine Wünsche offen.
Wir gehen nahezu alles, was zwischen Saas Grund (1559m) und dem Mote-Moro-Pass (2853m) beidseitig des Tals ohne Kletterausrüstung an Wegen, Steigen und Gipfeln noch zu gehen möglich ist. Selbst den Gsponer Höhenweg (in voller Ausdehnung 6 Std.), der von Stalden/Gspon aus nicht ohne Nutzung von Postauto + Luftseilbahn anzugehen gelingt, nehmen wir unter unsere Füße. Länger, höher, genussvoller, und das auf einem Jahrhunderte alten Pfad, kann man das Saas-Tal kaum entlang gehen.
"Es hat wenig Sinn, unsere Schritte in den Wald zu lenken,
wenn sie uns nicht darüber hinaus führen."
-Henry David Thoreau-
Nicht nur das Licht in den Bergen ist sehr speziell, und nicht nur die Sonne scheint
dort irgendwie anders. Auch man selbst wird dort zu Jemandem, den man neu kennen lernt. Nach nun fast 4 Jahren, in denen ich verletzungsbedingt an Erhalt, oder gar
Aufbau von Ausdauer nicht zu denken wagte, haben mich die ersten hohen Touren hart erwischt. Defizitäre Kondition, und ab gewissen Höhen auch die dünnere Luft, zeigen Grenzen auf. Grenzen, die
man erreicht, akzeptiert, annimmt, durchaus auch verflucht, und wieder und wieder überschreitet. Es mag schwer vorstellbar erscheinen, am Ende von vorhanden Reserven jenen einen guten Grund zu
finden, dennoch einfach weiter steil bergan zu gehen.
Und doch, auch ohne das äußere Lächeln der Leichtigkeit, man geht weiter. Nicht, weil man muß. Vielmehr ist da
sowas wie ein Sehnen, sich dem inneren Glück nicht zu entziehen, das sich leise, aber eindringlich, in einem ablegt. Es ist etwas, das für sich alleine gilt. Etwas, das lösgelöst immer noch ein
Stückchen mehr über der eigenen Ermüdung und dem eingeschränkten Genuss liegt, und für den Sinn dessen steht, was man dort tut. Für mich ist das ein Segen. Das muss auch niemand sonst verstehen.
Es zu akzeptieren, reicht völlig.
Es mag paradox klingen, aber eine tiefe Ruhe kehrt ein. Ja, trotz allem. Schritt für Schritt für Schritt, nichts als tiefe Ruhe. Tiefe Ruhe ist der beste Begriff für das, was mir ein Außenstehender in solchen Momenten nie ansehen würde, und doch längst eingetreten ist. Ich gehe, schaue, denke und atme mich frei, und gebe mich dieser Ruhe und allem anderen einfach hin. Ja, gewiss, es wird gut werden. In aller Winzigkeit und Demut führt mich der Weg durch äußere und innere Landschaften, die viel mehr verstehen und erkennen lassen, als man vorher jemals glauben mochte.
Eigentlich machen wir keine Pläne. Wir buchen möglichst nichts. Eigentlich. Für eine ganz spezielle Sache wäre diese Möglichkeit allerdings toll gewesen. Camping Arolla, auf gut 2000 m gelegen, sticht uns schon länger in der Nase. Reservierungen werden dort aber leider keine vorgenommen, und im gesamten Zeitraum, der für uns in Frage kommt, ist Arolla vollends ausgebucht. Streng genommen ist gerade im Moment scheinbar alles ausgebucht. Hauptreise- und Ferienzeit überall, die Schweiz rockt, und Camping boomt. Auch fataler Weise das, was zwar Camping heißt, aber dennoch nichts damit gemein hat.
Wir sind alte Hasen. Routiniert ist auch ohne viel Worte binnen 1 Stunde alles abgebaut, zusammengelegt, und im WESTFALIA Camper verstaut. Es ist auch nicht viel. 2 Stühle, ein Tisch, ein Sonnensegel, 4 Paar Schuhe, die Stöcke, das Kabel für den Außenstrom. Das Bett wird zur Sitzbank, die ISO-Matten von den Scheiben genommen, das Aufstelldach zugeklappt.
Wer wie wir schon seit vielen Jahren in die Schweiz reist, kennt die Reaktion derer, die das hören. „Schweiz, dort ist es doch viel zu teurer“. Das stimmt für Einiges unter bestimmten Umständen, aber es stimmt nicht pauschal. Vieles liegt an Gewohnheiten, und nicht am Reise-Land.
Dort, wo wir unsere Lager aufschlagen, gibt es weit und breit keineTouristenfallen, keine Gastronomie, und auch unsere bevorzugten Campingplätze haben dergleichen überhaupt nichts im Angebot. Außerdem: Camping zu priorisieren, und dann u.a. ständig essen zu gehen, ist auch maximal sinnfrei.
Mit einer großen Vorratskiste, wie die unsere aus Aluminium, die wir schon Monate vor Reiseantritt zu füllen beginnen, lässt sich gut haushalten. Wer also überwiegend (in unserem Fall: immer) selbst kocht, dazu gut vorbereitet haltbare Lebensmittel mitnimmt, und weiß, was in ein wertvolles Essen hineingehört (..einer von uns Beiden kann das eindeutig besser als ich...ich danke dir...) und gelegentlich im Discounter, wie z.B. „Denner“, bei Bedarf frische Lebensmittel zukauft, kommt in der Schweiz durchaus gut klar.
Über Saas-Balen und Stalden rollen wir uns lang und abschüssig das Tal hinunter ein. Der surrende Wasserboxer kommt dabei kaum auf Betriebstemperatur, die Nadel der Anzeige langweilt sich kurz über Null. Später erreichen wir Visp, und damit das Rhonetal.
Hier schlägt uns trotz früher Morgenzeit
eine trockene, aber harte Hitze entgegen,
die man so wohl gerne 500 Kilometer
südlicher vermuten würde.
Doch hier im Rhonetal ist der Süden!
Heiß, trocken, typisch mit seinen Häusern,
der Flora, und dem Licht.
Anhalten - ich mache das öfter dort.
Das Klima, die Wärme, es ist einfach köstlich,
und viel zu schade, um nur durchzufahren.
Und nur so kann ich Fotos machen, wie diese.
Transit-Tage. Wir sind weniger die tagtäglichen Fahrer, sondern wir sind eher die Verweiler. Dort, wo es so ist, wie wir es gerade brauchen, verweilen wir genau so lange, wie wir es eben gerade brauchen. Wir gehen, wandern, bergsteigen viel. "Shoe-Trip" würde gut passen. Der Begriff "Road-Trip" ist inflationär, wäre aber für das, was wir auf Reisen fahren, nicht ganz korrekt. Aber jene Transit-Tage, die liebe ich dennoch sehr. Sie stehen für das, was diese Art zu reisen für mich auch stark ausmacht. Zwischen allem Gehen, Wandern und Bergsteigen nichts als reisen! Reisen = fahren, gleiten, cruisen in einem Fahrzeug, was besser nicht sein könnte, und was exakt dafür geschaffen wurde.
Im Rhonetal spielt der T3 WESTFALIA sein zeitloses Potential voll aus. Es ist brütend heiß. Klima-Anlage, was war das noch gleich...!? Wir haben vorne die genialen Dreiecksfenster offen. Wie durch Unterdruck entschwindet die gröbste Hitze dort beidseitig aus unserem Reisefahrzeug. Zumindest so lange, wie wir fahren. Bei 70-80 km/h, nur knapp über Standgas in den großen Gängen, überlässt das Fahrzeug unseren Ohren ausschließlich die Geräusche vom Fahrtwind und den Pneus, denen der warme Teer auch gut zu tun scheint. Immer mal wieder nutzen wir die Möglichkeiten, rechts ran fahren zu können, und zu schauen. Es lohnt. Heiß brennt der Teer, barfuß laufen geht soeben noch, barfuß stehen gar nicht.
Unsere Strecke geht von Vilb das Rhone-Tal herab. Leuk, Sion, Martigny. Dort vollzieht das Tal einen 90 Grad-Schwenk von einer Ost-West-Richtung in eine Süd-Nord-Richtung. Auf dieser Straße bleibend, durchfahren wir noch Saint-Maurice, Bex und Ollon. Und würden wir immer weiter fahren, kämen wir in Kürze unmittelbar am Genfer See heraus.
Doch wir fahren nur bis Aigle, biegen nach rechts ab auf die Hauptstraße Nr. 11. Auf uns warten heute noch 2 Pässe. Unmittelbar nach Aigle geht es hoch zum Col des Mosses. Der Col des Mosses ist ein Pass, den man nicht so im Blick hat. Er ist ein 1445m hoher Übergang im Kanton Waadt in den Waadtländer Voralpen, an dem sich der Ferienort Les Mosses angesiedelt hat. Der Pass bildet die Wasserscheide zwischen der Rhone und dem Rhein. Obwohl der Col des Mosses in der Schweiz liegt, wurde er auch bereits öfters von der Tour de France überquert. Etwas abgelegen, könnte man ihn samt der umgebenden Landschaft als echtes Kleinod bezeichnen. Mir imponiert er. Das liegt einerseits an seinem gleichmäßig ansteigenden, geschmeidigen Verlauf, und andererseits daran, wie er wirkt: Südländisch! Es könnte tatsächlich Frankreich sein.
Es läuft gut hinauf. Mit seinen knapp 80 PS beißt sich der WBX in mittleren Drehzahlen in der Steigung fest, enge Serpentinen gibt es keine, die Fahrt hinauf macht Laune. Ein vollbeladener, französischer VW T4 mit Anhänger, der uns zunehmend ausbremst, lässt uns irgendwann vorbei. Wir ziehen in unserem Wohlfühltempo davon. Talabwärts rollen wir später an Rougemont und Saanen vorbei bis hinter Zweisimmen. Kurz danach bei Weissenbach, biegen wir links ab.
Von Anbeginn steil und unvermittelt, zeigt sich hier der Jaunpass (1509m) völlig anders, als wir es kurz vorher am Col des Mosses erlebt haben. Zäh, 8 km lang, über 663 Höhenmeter und ohne nennenswert erholsame Schwungpassagen, schraubt sich die Straße in teils engen Kehren bei durchschnittlich 8,3 % in die Höhe. Mit 30-40km/h, und überwiegend im 2. Gang, bewältigen wir mit Bedacht die Anfahrt zur Passhöhe.
Der Jaunpass, französisch genannt Col de Bellegarde, bildet die deutsch-französische Sprachgrenze. An seinem Verlauf liegt der Ort Jaun, die einzige deutschsprachige Gemeinde im Greyerzerland. Auf der Passhöhe selbst war früher ein Artilleriewerk. Mittlerweile dominiert dort die Gastronomie, und unser Ziel, ein ziemlich cooler Campingplatz. Ein spitzenmäßiger Transit-Tag neigt sich dem Ende entgegen.
Was mir total gut gefällt, ist die Stellfläche hoch über der Straße. Wie von einer Terrasse herunter kann ich schauen, was alles an motorisierten und unmotorisierten Fahrzeugen den Pass bezwingt, welche Campinggäste ankommen und abreisen, und die Berge kann ich sehen.
Bei guter Sicht reicht der Blick bis zu den höchsten Gipfeln des Berner Oberlandes, und auch weiter südlich tauchen im Dunst jene auf, die Richtung Wallis zu verorten sind. Für uns von Bedeutung sind allerdings jene, die auf Wurfweite liegen. Wer hier oben am Jaunpass steht, ist geneigt, zunächst zu unterschätzen, welche tollen Möglichkeiten sich bieten, von hier die Gegend zu erwandern und zu erkunden. Uns geht das kurzzeitig tatsächlich auch so. Doch Bäderhore, Hundsrügg, und schließlich auch die fantastischen "Gastlosen" warten auf uns.
"Berge sind stille Meister
und machen schweigsame Schüler."
-Johann Wolfgang von Goethe-
Nach 4 Übernachtungen
steht er auch hier bevor,
der nächste Transit-Tag.
Das Besondere diesmal ist,
dass wir die Fahrt bei Jaun unterbrechen,
eine kurze Sessellift-Fahrt nutzen,
und dann als Abschluss unserer Bergtouren
die „Gastlosen“ umlaufen.
Die "Gastlosen" sind eine langgestreckte Bergkette markanter
Kalkfelsen in den Voralpen im Grenzgebiet der Schweizer Kantone Freiburg, Bern und Waadt. Sie werden gerne auch bezeichnet als die „Saanenländer Dolomiten“. Die gesamte Kette
einschließlich aller Bereiche ist etwa 10 Kilometer lang und besteht aus 61 Gipfeln. Die Gastlosen sind vor allem bekannt für ihre Kletterfelsen.
Entlang des Kammes, scharf unterhalb der Felswände, sowie über die wenigen gemäßigteren Passlücken, gibt es zahlreiche Mög-lichkeiten für anspruchsvolle Bergwanderungen. Von den vielen Gipfeln sind allerdings nur sehr wenige ohne ausgesprochene Kletter-erfahrung zu erreichen. Das lässt sich durchaus schon beim Anblick der gezackten Silhouette erahnen. Wahrscheinlich entspringt ihr Name ebendrum dieser Tatsache. Unsere Route um den zentralen Bergstock herum lässt solche Gipfelpassagen jedenfalls aus und ist mit etwa 5 Stunden angegeben.
"In die Berge gehe ich,
um meinen Verstand zu verlieren
und meine Seele zu finden."
-John Muir-
Unsere Weiterfahrt von den "Gastlosen" währt nur kurz. Keine 25 Kilometer weiter liegt der Ort Gruyeres, und dort in unmittelbarer Nähe befindet sich der kleine Campingplatz "Les Saspins". Schloss Greyerz (Chateau de Gruyères) und der gleichnamige Ort liegen zu Füßen der herrlichen Freiburger Voralpen. Fast schon malerisch auf einem weither sichtbaren Hügel gelegen, fällt uns schon am Abend unseres Anreisetages die tolle Silhouette des imposant gelegenen Ortes samt Schloss auf.
Tags drauf zeigt sich, wie entspannt der Blick aus der Ferne doch gegenüber dem ist, was sich uns vor Ort zeigt. Autofrei, mit altem Kopfsteinpflaster versehen, präsentiert sich das mittelalterlich geprägte Greyerz als eine sicher bedeutende Stelle des Schweizer Fremdenverkehrs. Davon, und wie sich das selbst bis Asien herumgesprochen hat, bekommen wir dort bei unserem Aufenthalt einiges mit.
Viel Kunst in den wenigen Galerien, und noch viel mehr Kitsch quillt aus den vielen Läden der einzigen Straße im Ort. Dort, wo die Smartphone-Akteure den immergleichen Instagram-Fotos ein noch immergleicheres hinzuzufügen versuchen. Mittendrin sitzt ein alter Ziehharmonika-Spieler, der weltverloren und aus der Zeit gefallen erscheint dabei, jenes längst unglaubwürdig gewordene Image von gelebten Traditionen aufrecht zu erhalten.
Kaum etwas wirkt auf uns authentisch und echt, Greyerz gleicht den inszenierten „Traditionsorten“, wie man sie überall dort findet, wo der Tourismus die Oberhand gewinnt. Dem Großteil der Besucher scheint das alles zu gefallen. Die Straßenlokale und -cafés sind alle zum Bersten voll. Diese Rechnung zumindest scheint aufgegangen zu sein. Essen, Trinken, Kitsch + Kunst, der süße, klebrige Zuckerguss für den Übertourismus. Da ist er nun. Das hat man halt davon, wenn Orte für schnelle Kohle ihre Seele verhökern, und nicht einfach das bleiben dürfen, was sie sind.
Auch wir sind dem Schein aus der Ferne auf den Leim gegangen. Eine Stunde reicht, es genügt. Mit Eindrücken zwischen Erstaunen, Entsetzen und Langeweile gehen wir zurück zum Campingplatz. Was man als interessierter Reisender zu finden glaubt, ist in Greyerz verwehte Vergangenheit. Es gibt in der Schweiz längst genügend andere solcher Beispiele: Saxer Lücke, Scheidegg, Lauterbrunnen… wir kennen das zur Genüge. Nichts bleibt dabei übrig, außer solchen inhaltslosen Phrasen auf Werbeplakaten wie „Schönste Dörfer der Schweiz“, oder „Best Tourism Village“.
Die Wettervorhersage erweist sich als korrekt.
"Lang anhaltende Gewitter
mit Starkregen bis in den Mittag".
Exakt!
Die kleinen Pfützchen werden zu Pfützen,
und diese in Rekordzeit zu Teichen.
Zuerst noch angenommen,
es könne eine kurze Sequenz bleiben,
öffnet der Himmel ohne Pausen seine Schleusen,
und zwar von morgens bis in den Mittag.
Kurzum, der gesamte Platz,
und wir eingeschlossen,
saufen zunehmend ab.
Wer es gewohnt ist, bei solchen Wetterlagen nicht draußen sein zu müssen, oder einfach in irgendein Haus gehen zu können, hat wahrscheinlich keine Vorstellung davon, wie sich das so anfühlt unterwegs. Mit Zelt ist sicherlich die harte Tour, aber selbst bei einem kleinen, mit Zeltstoff im Klappdach befindlichen Campingbus, gibt es nicht wirklich ein "drin". Auch dort drin ist man immer noch draußen. Auf einer Passhöhe stehen und campen, das ist "draußen". Die Radreisenden am Camping Les Saspins sind "sehr draußen".
Fußläufig vom Campingplatz aus ist es an vielen Stellen gut möglich, einzutauchen in eine Landschaft, die durchaus reizvoll ist im Übergang von den Bergen ins Alpenvorland. Eine besondere davon ist die Jaunbach-Schlucht.
„Wild-romantisch, abenteurlich, einer der schönsten Schweizer Wanderwege…“
Diese, und noch viele weitere Umschreibungen finden sich, wenn man Recherchen startet zur „Gorges de la Jonge“. Die Jaunbach-Schlucht kann daher kaum mehr als ein echter Geheimtipp gelten. Das wird auch deutlich, als wir nach gut 30 Minuten Fußweg vom Campingplatz "Les Saspins“ den an der Schlucht liegenden Wanderparkplatz erreichen. Es scheint, wir sind die einzigen, die dort zu Fuß ankommen. In der Schlucht selbst verteilt sich die Anzahl an Leuten allerdings ganz gut. Unser Bonus: Es ist ein Werktag! Ferienzeit + Wochenende in Kombination empfehle ich auszuklammern, um hierher zu kommen.
Etwa 3,5 Kilometer gilt es auf schmalen Stegen, Brücken, und durch Felsentunnels zu gehen, bevor man am oberen Ende der Schlucht den Stausee erreicht. Und da wir ja wieder zurück gehen müssen, kommen wir in den Genuss, die Jaunbach-Schlucht gleich zweimal zu durchschreiten.
Für uns bildet diese Unternehmung den Abschluß der Aktivitäten unserer Schweiz-Reise. Morgen geht es heim. Viele große Eindrücke werden wir mitnehmen. Da sind Bilder, Erinnerungen, und das Wissen um das große Glück, unsere Zeit mit solchen aktiven Dingen beleben zu dürfen. Verunsichert bin ich an solchen Stellen allerdings darüber, was denn nun das wahre Leben ist. Jenes, was den Alltag und das „Überleben“ sichert und ausmacht, oder dieses hier auf Reisen.
Alpen adé, Wehmut macht sich breiter und breiter.
Es nützt nichts, die Wanderschuhe sind ausgezogen,
geben wir uns dem hin.
Heimfahrt.
Oder besser gesagt: Rückreise.
Denn ein Gefühl von Heim haben wir vor allem hier gehabt.
Sowohl in unserem kleinen, mit Rädern versehenen Refugium, aber auch wieder einmal überhaupt hier in der Schweiz.
Die erhabenen Berge, die Landschaft, die Natur,
die Orte und Plätze unserer Reise,
die Mentalität und Liebenswürdigkeit der Menschen,
und vor allem auch die Art, miteinander umzugehen,
lassen es schwerer und schwerer fallen,
nach Deutschland zurück zu fahren,
und sich auch noch darauf zu freuen.
Rückreise.
Wirklich unbeschwert scheint das
vor allem meinem betagten Reiseklassiker zu gelingen.
Munter dreht der Wasserboxer vor sich hin,
es ist eine helle Freude. Aus Greyerz hinaus
bis zur Autobahn sind es nur einige Kilometer.
Ich beschleunige, fädele mich ein in den fließenden Verkehr,
und nehme bei knapp über 100km/h das Gas zurück.
Schnell genug für die Fahrt zurück.
2024 © DT-Classics
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Michael Guggolz (Freitag, 16 August 2024 23:35)
.....
Menschen die die Berge lieben widerspiegeln Sonnenlicht.
Jene, die im Tal geblieben verstehen ihre Sprache nicht.
Lieber Dirk,
ihr beide habt mich mit diesem Bericht und den Fotos mitgenommenen in eine Gegend, die ich von vielen Bergfahrten gut kenne. Einige dieser Berge habe ich auf den Fotos wieder erkannt und mich an die Gipfelgefühle erinnert und daran, wie die Welt von dort oben aussieht. Und die Leidenschaft für´s VW Bulli campen habe ich auch schon reichlich ausgelebt. Es ist eine Art Nomadenleben. Man hat nur das Notwendigste und doch alles dabei und man bleibt, wo es gerade gut ist. Diese Einfachheit macht unbeschwert.
Ich mag deine Art zu schreiben und deine Fotos sind ausdrucksstark wie immer. Besonders das Bild zum Kreuzboden mit den 4000ern im Hintergrund gefällt mir natürlich. Das ist genau mein Artikel, für mich geschrieben. Danke dafür.
Herzlich,
Michael
p.s. ...übrigens glaube ich, dass das wahre Leben immer genau dann stattfindet, wenn man sich des Lebens bewusst ist. Keine leichte Aufgabe.....
Dirk von DT-Classics (Samstag, 17 August 2024 08:01)
Lieber Michel,
Wie sehr du die Berge liebst, auch gerade die, wo wir waren, weiß ich wohl. Wir beide bekämen einen Austausch darüber sogar sicher schweigend hin, und alles wäre gesagt. Aber deine Zeilen legen noch einen drauf, sie erfreuen mich sehr.
Ich danke dir dafür von ganzem Herzen!
Freundschaftliche Grüße,
Dirk
Peter (Samstag, 17 August 2024 21:24)
Wunderschön geschrieben, wieder einmal von der philosophischen Seite gesehen, einmalig! Die Fotos sind zum niederknien und anbeten. Das zweite Foto „Camping am Kapellenweg“ könnte in Schwarzweiss von Ansel Adams sein. Probiere das mal zu wandeln bitte. Ich würde es gerne mal sehen.
Eine wunderschöne Reise von zwei tollen Menschen, die wissen, worauf es ankommt.
Herzlich G&P
Dirk von DT-Classics (Samstag, 17 August 2024 21:47)
Liebe Geraldine, lieber Peter,
danke fürs Reinschauen, und ganz lieben Dank für den wohlwollenden Blick drauf!
Was soll ich sagen, es ist mir eine Ehre...
Das Foto wandel´ ich mal, sende ich dir dann zu ;-)
Fühlt euch gedrückt, beste Grüße, Dirk
Roamer (Dienstag, 27 August 2024 09:23)
Mittlerweile hat sich hier eine Serie von Schweiz-Artikeln angesammelt, die ich als höchst wertvoll ansehe. Camping auf die gute Art, und dann dort, wo es ursprünglich zugeht, findet man immer seltener. Die diesjährige Reiseroute ist ziemlich ungewöhnlich. Aus den Hochtälern des Wallis nochmal abzubiegen nach Jaun und Gruyères, das hat was. Text und Fotografie sind auf erwartbar hohem Niveau, tolle Fotos auch von dem Oldtimer-Bus, geniales Fahrzeug. Unbedingt weitermachen, ich danke!
Theo (Mittwoch, 28 August 2024 13:56)
Eigentlich wollte ich ja einen Kommentar auf der Seite Fotowissen hinterlassen, aber da kommt dann stehts nur "spam deleted", Dann eben hier:
"Ich bin ja nur ein Hobbyknipser und kann über die langen Kommentare nur staunen, worüber ich aber wirklich staune, sind die 50 Stunden für den Artikel.
Ich hatte irgendwann einmal in den Bergen Kühe geknipst und dabei auch testweise schwarz-weiß eingestellt. Das war für mich dann auch irgendwie Nostalgie.
Wirklich nostalgisch werde ich aber, wenn ich mir alte Fotos (eigene) ansehe. Aber vielleicht nennt man das dann auch nur Sentimentalität. Leider verschimmeln die Dias vor sich hin, sodaß ich nur auf die digitale Zeit zurückgreifen kann oder alte Bilderalben. Aber auf die Idee wäre ich nie gekommen, aktuell "nostalgisch" zu fotographieren. Insofern danke für den umfassenden Beitrag."
Einen Kommentar zur Schweizreise erspare ich uns allen dann mal. ;-) Wie gerne würde ich auch mal wieder in die Berge, aber da sind zu viele Verpflichtungen, die mich nicht weit weg von selbigen lassen,. Nun ja.
Adrian & Regula (Dienstag, 10 September 2024 12:04)
Lieber Dirk
Vielen Dank. Wie immer ist auch dieser neue Reisebericht wunderbar geschrieben und mit hervorragenden Bildern illustriert. Einfach toll und ausdrucksstark. Gigantische Impressionen der Westschweizer Bergwelt. Es macht Laune zu erfahren, wie ihr unterwegs seid und z.B. eure Malzeiten im Bus immer selber zubereitet. Gibts im Urlaub etwas schöneres? Wir kennen das aus eigener Erfahrung, fühlen mit euch und grüßen herzlich aus St.Gallen,
Regula und Adrian
Dirk von DT-Classics (Dienstag, 10 September 2024 18:12)
Ihr Lieben!
Wie kann es anders sein, als an Euch zu denken, wenn wir dann schon durch die Schweiz reisen? Es ist schön, eure Zeilen zu lesen, und es tut gut, die eigentliche "Entfernung" geringer zu wissen, als es die Kilometer vorgaukeln... ;-)
Auf bald, und einen Gruß von Herzen!