Es ist 4:30 Uhr morgens. Ich liebe das, vorm eigentlichen Sonnenaufgang schon aktiv sein zu dürfen. Ein paar tiefe Atemzüge sinnierend auf der Wiese im Garten, und dann nichts wie hinein in den Bulli.
Aus der Tasse, die später im Halter an der Konsole vom Beifahrersitz steht, steigt das Aroma frischen Kaffees auf, ich setze mich in die offene Schiebetür. Gleich gehts los, und der Wasserboxer brummelt dann willig laufend seine Melodie. Ringsherum erhebt sich diese einmalige Frühlingsluft eines Maimorgens.
Ich bin längst on the road...
Ja, ich habe es wieder getan. Road-Trip im VW T3 WESTFALIA Club Joker. Jetzt. Nicht einfach so, aber so einfach. Sicher, die momentanen Zeiten, die geprägt sind von Abstandsregelungen, Maskenpflicht und medialer Reizüberflutung zum Thema Virus laden nicht unbedingt ein, an Dingen herum zu planen, die wie gewohnt erscheinen und nur mal Freude bereiten dürfen. Es entspricht mir allerdings auch wenig, den eigenen Kopf befohlener Maßen in den Sand zu stecken und das, was grundsätzlich machbar ist, nicht zu tun.
Außerdem ist diese jetzige Zeit sehr besonders. Auch zum Reisen, wie ich finde. Ich möchte nicht nur darüber lesen, nicht nur den Merkels und Spahns zuhören müssen, oder von einem der gefühlt 500 Verängstigungs-experten aus dritter Reihe darüber erfahren, woran ich wieder mal sterben könnte. Mir ist danach, unter Wahrung angemessener Vorsicht, diese außergewöhnliche Stimmung eines Unterwegsseins auf mich wirken zu lassen, paar Tage keine Nachrichten zu schauen, und stattdessen selbst die Nase in den Wind zu halten, der nach wie vor kein laues Lüftchen ist.
Thomas und ich wären normalerweise genau jetzt unterwegs nach Dänemark. Unser Roadtrip, euphorisch geplant schon letztes Jahr beim Trip zu VW Klassiker Treffen auf der Postalm, viele Kilometer in wenigen Tagen, zur Insel Mön, Karibik der Ostsee, wäre unser Ziel für ein paar Tage gewesen. Das allerdings lassen diverse Beschränkungen dann doch noch nicht zu, und so haben wir den Zirkel in die Landkarte gesteckt, und mehr oder weniger zufällig die Mitte zwischen unseren Wohnorten als Treffpunkt ausgewählt. Das ist Bad Karlshafen an der Weser.
Zeit genug für die Anfahrt habe ich eingeplant, daher genehmige ich mir auf dem Weg dorthin als Auftakt noch einen kurzen Abstecher in den Urwald Sababurg. Den Parkplatz samt Urwald habe ich für mich alleine.
Die Bäume hier, wenn sie denn könnten, würden sicher süffisant schmunzeln über uns Menschen, die wir von einer Stelle zur nächsten hetzen, immer von der Furcht getrieben, uns irgend etwas einzufangen, oder irgend etwas zu verpassen. Von alten Bäumen läßt sich lernen. Sie stehen teilweise schon hunderte Jahre hier an Ort und Stelle, und sehen gar nicht mal unzufrieden aus.
Einzigartig in Mitteleuropa! 800-1000 Jahre alte Eichen und teils meterhoher Farn prägen diese alte Hute-Landschaft.
Über schmale Sträßchen erreiche ich wenig später Bad Karlshafen. Von den hellen Wänden der alten, schicken Häuser der Hauptstrasse hallt der sonore Klang des Wasserboxers deutlich zurück.
Das ist wenig überraschend, denn weitere Geräusche vom alltäglichen Leben vor Ort, oder Motore von anderen Fahrzeugen, sind keine zu vernehmen.
Dann erreiche ich den direkt an der Weser befind-lichen Campingplatz, vor dem ich mich mit Thomas verabredet habe. Klar, die innige Umarmung fällt diesmal leider aus, aber das schmälert nicht im Geringsten das freudige Wiedersehen nach über einem halben Jahr!
Am Campingplatz wird strikt vorgegangen, was die Art der Campingfahrzeuge anbelangt. Ausschließlich jene mit Nasszelle und Toilette dürfen drauf, und das auch erst ab morgen. Wir übernachten daher am Parkplatz vorm KIK, und die städtische, öffentliche Toilette in Wurfweite ist exzellent und sauber. Dann endlich schauen wir uns Bad Karlshafen an.
Es ist wenig los hier am Vormittag. Oder besser gesagt: Gar nichts. Und nichts meint auch nichts! Aber das liegt weder am Tag, noch an der Uhrzeit, noch an der Nebensaison. Wir alle wissen, was los ist, denn im ganzen Land herrschen seit Monaten Verunsicherung, eine seltsame, unbekannte Beklemmung, und sicher auch berechtigte Furcht. Letztlich muß jeder für sich selbst klarkriegen, wie sein eigener Umgang im Rahmen aller Verantwortung und Möglichkeiten aussehen mag, und in welchem Ausmaß man die Eingeschnürtheit der Umstände festlegt, und wie man sie ertragen möchte.
Für mich gehört mit dazu, mich dieser Tatsachen bewußt auszusetzen. Wohlgemerkt, nicht den Gefahren, und auch nicht dem Leichtsinn. Aber dem, was diese Zeit besonders macht. Ich möchte mir eine eigene Erlebniswelt dazu erlauben, und einen kleinen Teil mehr davon spüren dürfen, als es im eigenen Wohnzimmer per Tagesschau möglich ist.
Die komplette alte Innenstadt Bad Karlshafens ist erbaut im Stil des sogenannten Weserbarocks. Symmetrisch angelegte Straßenzüge und die bestens
erhaltene Bausubstanz sind wirklich eindrucksvoll. Das Hotel-Restaurant am Hafenplatz ist das älteste Haus der Stadt, welches um 1700 gebaut wurde.
Die an der Grenze zu Niedersachsen gelegene, nördlichste Gemeinde Hessens, ist für mich völliges Neuland. Hier war ich noch nie. Dem Namen nach klingt Bad Karlshafen nach einer Größe, die mich dann in der Form doch nicht so erwartet. Keine 4000 Herzen schlagen in dem schmucken Städtchen. Und Bad Karlshafen ist leer. Menschenleer. Der Großraumparkplatz für Reisebusse auf Kaffeefahrt ist abgesperrt, und auch alles öffentlich Zugängliche gleich mit.
Ich versuche mir vor meinem geistigen Auge ein Bild dessen zu machen, wie das hier wohl sonst so aussieht, abseits der "neuen Normalität". (Wer denkt sich eigentlich so bekiffte Begriffe aus?) Wir bewegen uns hier im Städchen, wie in einem Freilichtmuseum ohne Besucher. Auch der Vergleich mit einer Filmkulisse kommt mir in den Sinn. Die Hotels, Geschäfte und Läden sind geschlossen, auf den Bürgersteigen weit und breit keine Menschenseele zu sehen, und vor verwaisten Gaststätten und Cafés stehen erwartungsvoll die leeren Stühle.
Wirklich hoch spannende Lädchen gibt es in Bad Karlshafen. Der "Kolbenfresser" ist eines davon.
Wir drücken uns die Nasen platt an der Scheibe, hinter der so einiges zu sehen ist,
was ich gerne auch näher betrachtet, oder in die Hand genommen hätte.
Der historische Weserhafen, der, warum auch immer, in den 1920er Jahren von der Weser abgeschnitten wurde, ist zum Glück 2018 wieder an die Weser angebunden worden. Mittels einer Schleuse ist nun der Wasserstand im Hafenbecken unabhängig von dem in der Weser auf stabilem Niveau zu halten.
Und der Hafen ist ein echtes Leckerchen. An den Stegen liegen jedoch derzeit keine Boote, und die Piere und Steige, die zum Flanieren und Schauen einladen, wirken heute öde und trostlos. Es ist schon krass. Das, was man sich sonst oft genug wünscht, nämlich ohne Probleme den ganzen Vormittag zu fotografieren, und nirgends sind Menschen zu sehen, dass erscheint jetzt plötzlich absolut skuril und verrückt!
Der mit mächtigem Walmdach und zentralem Dachreiter deutlich ins Auge fallende Hauptbau am Hafen ist das ehemalige Pack- und Lagerhaus, in dem heute das Rathaus untergebracht ist. Es wurde 1715 bis 1718 erbaut. Aber auch hier sehe ich keine der sonst an solchen Stellen üblichen Betreibsamkeiten. Nicht mal offen ist die Tür, der neugierige Blick in ein so schönes, altes Gebäude bleibt mir verwehrt.
Von etwas weiter weg sieht der Ort hell, belebt und einladend aus. Aus dieser Distanz erscheint es mir kaum vorstellbar, dass das Leben gerade eben auch in so einem sehenswerten Ort, der von Besuchern, Reisenden und Touristen lebt, völlig brach liegt.
Und die Weser fließt dran längs wie eh und je, völlig ungeachtet Allem, was hier seit Ewigkeiten passiert und nicht passiert. Schon komisch, was das mit mir macht. In so Augenblicken wirkt die eigene Winzigkeit nochmal sehr endlich, und markant gering erscheint mir unsere eigene weltliche Bedeutung, die wir doch allzu oft viel zu gerne viel zu groß wähnen.
Um mich auschließlich der tiefsinnigen und schwerlastigen Gedanken hinzugeben, ist die kleine Reise allerdings nicht gedacht. Sicher, es ist prägend, und sie sollen ja auch Teil der Unternehmung sein, aber da ist ja auch noch mein Treff mit Thomas, und da sind auch unsere beiden VW Busse, um die es immerhin auch geht dabei.
Die vielen schier endlosen Alleen, die sich kreuz und quer durch den Reinhardswald ziehen, sind wie gemacht für entspannte Flanierfahrten im VW T3 CALIFORNIA. Es wird sich aber auch längst bei anderen Oldtimerbesitzern rumgesprochen haben, denn ein paar schöne Klassiker anderer Couleur kamen uns hier zuweilen auch zu Gesicht.
Kleine Rast im Reinhardswald.
VW T3 in (E-)Motion.
Wir sind im Land der Gebrüder Grimm. Der nicht weit entfernten Sababurg statten wir einen Besuch ab. Die schön gelegene Anlage ist seit je her fest verknüpft mit dem Märchen von Dornröschen. Der damalige Rittersmann hat es ja bekannter Maßen hinbekommen, mittels Schwert und brennender Liebe die Dornenhecke zu durchdringen. Uns gelingt das leider nicht. Eine Baustelle & Maßnahmen bzgl. Corona vereiteln die Besichtigung.
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Unweit der Sababurg
Eine schöne Landstrasse, mystisches Licht und zwei klassische VW Busse in grüner Allee reichen völlig aus, um einer Szenerie die einzigartige Färbung unendlicher Freiheit zu verpassen. Da ist sie sofort wieder, jene Stimmung von Ungebundensein, die ich von Anbeginn meiner automobilen Selbstständigkeit im Zusammenhang mit VW Campingbussen so sehr schätze.
Bevor wir uns für die kommende Nacht einen Campingplatz auswählen, geht die Fahrt noch nach Hann. Münden.
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Obwohl hier ein paar mehr Leute zu sehen sind, ähnelt das Bild dem aus Bad Karlshafen sehr. Hauptaugenmerk liegt auf der sehenswerten Architektur. Den Genuss bildet das Unterwegssein, das herrliche Wetter, und die Tatsache, ein nettes, kleines Café zu finden, wo wir uns im Außenbereich niederlassen.
Für die Fotografen unter Euch:
Alle Fotos diesen Beitrags in monochrom sind nicht in Standard schwarz/weiß entstanden, sondern in einem eigens ausgearbeitetem JPEG-Rezept für FUJIFILM Kameras, dass sich sicher auch auf andere Fabrikate übertragen läßt. Bei Interesse finden sich Aufbau und Details dazu in einer Veröffentlichung von mir. Click: *fotowissen.eu
Und dann cruisen wir durchs Tal der Oberweser. Es ist einfach herrlich, mit 2 alten Klassikern über Land zu bollern.
Im Stillstand, dem Land und Leben im Moment unterworfen sind, kommt dieser gefühlte Stillstand der Zeit gerade recht.
Die Zeit steht still hier vorne im T3, nichts, was mich jagd oder bremst, alles ist gut.
Ich liebe es einfach unkompliziert. Fahren, schauen, wandern, und zwischendurch immer wieder rasten.
In der offenen Schiebetür sitzen, über Gott und die Welt reden, und einem Plan folgen, der genau keiner ist.
Wunderschön ist es im Wesertal. Vor allem eben der Abschnitt zwischen Hann. Münden und Bad Karlshafen ist einmalig anspechend. Es lohnt, immer mal wieder die Flußseiten zu wechseln. Alleine schon die liebevoll erhal-tenen kleinen Fähren, die samt Fährhaus reizvoll auf die Fährgäste warten, machen aus jeder Überfahrt ein Erlebnis der besonderen Art.
Die Fähre in Oedelsheim. Eine kleine Schar enthusiastischer Dorfbewohner hält dieses Kleinod instand, und gewährleistet seit eh und je ein stilvolles Übersetzen von bis zu 2 Fahrzeugen. Das passt. Wir kommen uns mit unseren betagten Campingbussen ein wenig vor, wie in einem Heimatfilm aus den 80er Jahren.
Als Campingplatz
für die letzte Nacht haben wir
"Weisse Hütte" ausgewählt.
Mir ist der Platz vom Oberweser-Bullitreffen her bekannt.
Ich stehe total
auf diese naturbelassenen,
mit wenig Klimbim
ausgestatteten Plätze.
Dort ist jene Art von Camping möglich, die eben Camping pur bedeutet. Man braucht sich nur umzuschauen. Mehr geht nicht.
Ein zusammenfassendes Résumé abzugeben über diese kleine Reise ist nicht in einem Satz zu machen. Das fängt schon damit an, wie man auf eine solche Fahrt unter gegebenen Umständen schauen mag. Ich für meinen Teil möchte positiv schauen. Auf jetzt, auf die Zeit, auf die Umstände, und auf alles, was noch folgen mag.
Im Bewußtsein dafür, wie außergewöhnlich diese 3 Tage in jeder Hinsicht waren, bin ich allerdings mehr als froh, überhaupt die Möglichkeit bekommen zu dürfen, mit Thomas gemeinam diese Fahrt zu wagen. Es tut gut, die "Phase Corona" nicht nur im Fernsehsessel nachzuempfinden, und es hinterläßt mich auch dankbar, so etwas gesund und wohlbehalten abzuschließen. Und niemand sollte sich mit irgendwem vergleichen müssen. Denn jeder kann nur das tun, was verantwortbar, und für ihn selbst machbar ist.
Ein gutes Jahr
bleibt zu wünschen,
lasst euch nicht unterkriegen,
und ich freue mich jetzt schon
auf jede Begegnung
on the road...!
Euch allen zum guten Schluß
einen herzlichen Dank
für eure Aufmerksamkeit
und das Interesse
an diesem Beitrag!
2020 © DT-Classics
W.Düber (Freitag, 18 Dezember 2020 06:28)
Lieber Herr Trampedach,
mich begeistert das Vermögen, extrem gute Fotos und eine Storie so famos zu verweben. Ich lese seit langer Zeit immer und immer wieder die ganzen Geschichten auf dt-classics, und wirklich ansprechend ist die Tatsache, dass es eben nicht nur ums Thema VW Bus geht. Alleine die wundervollen Landschaftsaufnahmen, und die Fotos der Ortschaften in dem Beitrag von der Oberweser, sind mehr als sehenswert.